Fundstück

„…ebenfalls ist der Hals reingewaschen vorzuzeigen!“

Fundstück des Monats August 2024

© Irmgard Horz

Am 29. Dezember 1853 wurde durch Bürgermeister Pfeiffer erstmals eine Polizeiverordnung erlassen, die den Maulkorbzwang für freilaufende Hunde vorschrieb; danach mussten Hunde, die nicht an der Leine geführt wurden, auf den Remscheider Straßen und an allen öffentlich zugänglichen Orten einen Maulkorb tragen. Doch kaum in Kraft getreten, wurde die Polizeiverordnung ein Dreivierteljahr später auch schon wieder modifiziert. Grund waren in der Nachbargemeinde Ronsdorf aufgetretene Fälle, in denen Menschen von tollwütigen Hunden gebissen worden waren. Durch diese Vorfälle sah Pfeiffer sich genötigt, den Maulkorbzwang, der zunächst nur für größere Hunde galt, auf alle Hunde auszuweiten.

Diese Regelung blieb auch in den folgenden Jahrzehnten in Kraft. 1876 wurde präzisiert: „§ 1.) Hunde, welche frei umherlaufen, müssen mit einem polizeilich gestempelten Maulkorbe, welcher aus Blech oder Eisendrath gefertigt und so eingerichtet sein muß, daß er dem Hunde das freie Athmen und Abkühlen der Zunge gestattet, das Beißen aber verhindert, versehen sein.“ Verstöße konnten mit einer Geldstrafe von „bis zu neun Mark“ geahndet werden.

Zu einem solchen Verstoß kam es offenbar am 23. Mai 1905 gegen 11 Uhr vormittags im Remscheider Ortsteil Ibach. Dort wohnte der aus Gimborn stammende Ackerer Ernst Zapp mit seiner Familie im Haus Ibacher Straße 37 (damals noch Ibach 4). Die Familie hatte einen Hund namens Axel, vermutlich ein Terrier oder Pinscher, jedenfalls einer Rasse angehörend, die als Rattenfänger eingesetzt wurde – ein Umstand, den uns unser Fundstück des Monats verrät. Es handelt sich um einen Bußgeldbescheid, ausgestellt durch die Remscheider Ortspolizeibehörde am 27. Mai 1905. Weil sein Hund auf der Straße zu Ibach ohne Maulkorb und ohne Hundemarke umhergelaufen war, was sowohl der Polizei-Sergeant Deller als auch ein gewisser Ernst Kemper vom Neuenkamp bezeugen konnten, belegte man Ernst Zapp mit einer Geldstrafe von drei Mark. Der ordentlich mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bußgeldbescheid setzte außerdem für den Fall, dass Ernst Zapp nicht willens oder in der Lage sei, die drei Mark zu bezahlen, ersatzweise eine Haftstrafe von einem Tag fest.

Ob Ernst Zapp die Strafe bezahlt hat oder sich weigerte, ist nicht bekannt. Was wir jedoch vorfinden, ist eine handschriftlich nachträglich mit blauem Buntstift hinzugefügte Notiz am unteren linken Rand des Bescheides mit folgendem Wortlaut:

„z. H. der Erbin Irmgard Horz, geb. Zapp in Ibach 37.

Die Strafe kann nicht durch Geld geführt werden, sondern Sie müssen drei Tage sitzen!

Handtuch, Seife, Kamm & Bürste sind mitzubringen, ebenfalls ist der Hals reingewaschen vorzuzeigen!“

Diese Notiz, im sprachlichen Duktus der Kaiserzeit gehalten und in bester deutscher Schrift verfasst, sorgte bei der Bearbeitung des Bestandes für große Heiterkeit unter den Beschäftigten des Stadtarchivs. In Unkenntnis der Gepflogenheiten wurde eine solche Anordnung zwar amüsiert betrachtet, aber zunächst nicht in Zweifel gezogen. Erst der Versuch, die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen dem „Delinquenten“ Ernst Zapp und seiner „Erbin“ Irmgard Horz geb. Zapp zu rekonstruieren, brachte die Wahrheit ans Licht: Da hatte sich wohl jemand ebenso wie wir über den im Zapp-Nachlass gefundenen Bußgeldbescheid amüsiert und beschlossen, das Kuriosum noch durch einen Jux zu toppen. Es stellte sich nämlich heraus, dass die erwähnte Irmgard nicht die Tochter, sondern die Enkelin von Ernst Zapp war. Sie kam erst 1921 zur Welt – also mehr als 15 Jahre nach Erlass des fraglichen Bescheides! Und „Horz“ hieß sie auch erst seit ihrer Eheschließung mit Eduard Albert Horz im Jahr 1949. Damit ist klar, dass die launige Hinzufügung frühestens in diesem Jahr erfolgt sein kann.

Diese Erkenntnis ließ uns etwas enttäuscht zurück, denn uns wäre ein Fundstück des Monats, das tatsächlich anordnet, der Hals sei „reingewaschen vorzuzeigen“ natürlich bedeutend lieber gewesen als ein Jahrzehnte später hinzugefügter Scherz – aber es zeigt auch, wie wichtig es ist, nichts ungeprüft zu übernehmen, sondern sich die Mühe zu machen, die genannten Fakten (in diesem Fall die Namen, Daten und Verwandtschaftsbeziehungen der erwähnten Personen) zu überprüfen. Es wäre aus unserer Sicht wünschenswert, bei allem, was öffentlich verbreitet wird und Kopfschütteln oder Empörung hervorruft, auf diese Weise vorzugehen; das würde vielen Fake News die Grundlage entziehen.

 

Verfasst von: Viola Meike 

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