„Wat sech sonnen Schuolmi’ester doch än guoden Dag aandi’et!“
Fundstück des Monats Dezember 2022
Manchmal überdauern Papierdokumente die Jahre in Kellern oder auf Dachböden von Privathäusern, manchmal aber auch in den Beständen des Stadtarchivs, die zwar schon ihren Weg zu uns, aber noch nicht ihren endgültigen Platz im Hauptmagazin gefunden haben.
Um solch ein schlummerndes Objekt handelt es sich bei unserem Fundstück des Monats Dezember.
Wir haben hier eine ausgesprochen liebevoll gestaltete Weihnachtskarte, die der Lehrer Johannes Lieser, nach dem übrigens die Lieserstraße im Remscheider Südbezirk benannt ist, im Dezember 1920 an seine ehemalige Schülerin Hedwig Butzbach geschrieben hat. Dieser Schülerin, die 24 Jahre alt war, als sie die hübsche Karte erhielt, war Johannes Lieser offenbar sehr zugetan: Eine weitere Postkarte vom 13. Dezember 1920 (also nahezu zeitgleich verschickt) trägt die Zeilen:
„Meiner lieben Hedwig Butzbach zur freundlichen Erinnerung. Lieser“
Johannes Lieser war ein vielseitig interessierter Mann, der sich auch, wie viele Lehrer in früherer Zeit, der Heimatkunde verschrieben hatte. Den Naturkundeunterricht pflegte der beliebte Pädagoge bei gutem Wetter im Freien abzuhalten, der ganze Südbezirk bis hinunter zur Eschbachtalsperre war sozusagen sein Klassenzimmer, jeden Halm und jeden Strauch konnte er genau bezeichnen. Daher ist es wohl kein Zufall, dass er die Weihnachtskarte an Hedwig mit getrocknetem, sehr filigranem Moos geschmückt hatte. Doch nicht alle Eltern fanden Gefallen an solch modernen Unterrichtsformen. Da hieß es mitunter: „Wat sech sonnen Schuolmi’ester doch än guoden Dag aandi’et!“
Was den Lehrer, der seit Ostern 1878 an der Schule Handweiser tätig war, bis er Anfang November 1895 Rektor der Schule Stachelhausen wurde, mit seiner ehemaligen Schülerin verband, ist nicht bekannt. Einen amourösen Hintergrund darf man wohl verneinen, immerhin war Hedwig fast 40 Jahre jünger als Lieser. Dessen Leben war überschattet von persönlichen Tragödien: Seine erste Frau, die Lehrerin Eugenie Geh, starb knapp anderthalb Jahre nach der Hochzeit im Alter von nur 26 Jahren; zu dem Zeitpunkt war der gemeinsame Sohn Egon erst wenige Monate alt. Die Sorge um den kleinen Sohn ließ Johannes Lieser kaum Zeit zu trauern. Wie es damals nicht unüblich war, heiratete er recht schnell wieder, und zwar die aus Schweppenhausen im Kreis Bad Kreuznach stammende Elisabeth Orthenberger. Nicht lange danach kam der gemeinsame Sohn Hans zur Welt, der kleine Carl folgte ein Jahr später. Damit hatte neues Glück ins Haus des engagierten Lehrers Einzug gehalten. Doch währte das Glück nur bis zum Frühjahr 1917 – dann nämlich ereilte Johannes Lieser die Nachricht vom Tod seines Sohnes Carl, der als Leutnant der Reserve der 12. Kompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 261 in der Schlacht bei Vimy nahe Arras in Nordfrankreich in Folge einer Rauchvergiftung erstickt war.
Dieser neuerliche Schicksalschlag lag drei Jahre zurück, als Lieser die Weihnachtskarte an seine ehemalige Schülerin schrieb. Der Vertrag von Versailles hatte kürzlich mit seinen gravierenden Folgen für Deutschland den Ersten Weltkrieg beendet, im März hatten sich „rote“ Arbeiter und rechte „Zeitfreiwillige“ auf den Straßen unserer Heimatstadt heftige Kämpfe mit vielen Toten auf beiden Seiten geliefert. Die bevorstehende Geldentwertung warf ihre Schatten voraus. Und doch wünschte Johannes Lieser in der damaligen, schweren Zeit der jungen Hedwig Butzbach „fröhliche Weihnacht!“.
Und genau so wollen wir es auch halten, in dieser an globalen Krisen nicht armen Zeit: Mit diesem Fundstück des Monats möchten wir an den leidgeprüften Lehrer Johannes Lieser erinnern, und Ihnen allen ein fröhliches Weihnachtsfest wünschen!
Verfasst von: Viola Meike
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