Die Sammelleidenschaft mancher Remscheiderinnen oder Remscheider ist mitunter ein großes Glück für das Stadtarchiv, denn manches vor Ewigkeiten liebevoll erstellte Stück Zeitgeschichte landet, wenn es nicht mehr geliebt oder nicht mehr gebraucht wird, auf dem Dachboden oder, wie in diesem Fall, auf dem Flohmarkt (schlimmstenfalls auf dem Sperrmüll oder in der Papiertonne). Doch immer wieder retten nostalgisch veranlagte Menschen solche Schätzchen vor der Vernichtung und lassen sie dem Stadtarchiv zukommen – so auch unser Fundstück des Monats Oktober.
Das Fotoalbum, querformatig und weniger als DIN A 4 groß, wurde in den 1930er Jahren angelegt, was Beschriftungen wie „Pfingsten 1934“ oder „Weihnachten 31“ belegen. Damit endet das Informationsbestreben der Verfasserin oder des Verfassers auch schon. Es sind aber genau diese „anonymen“ Dokumente, die unsere Neugier und ja, unseren Forscherdrang wecken: Wird es uns gelingen herauszufinden, wer die Personen auf den Fotos sind und wo sie wohnten, ohne, dass im ganzen Album auch nur ein einziger Orts- oder Personenname auftaucht? Freilich, so ganz ohne Anhaltspunkte geht es nicht. In diesem Fall waren es zwei Portraitfotos, ein Mann und eine Frau nebeneinander, anzunehmenderweise ein Ehepaar, mit den jeweiligen Geburts- und Sterbedaten: Der Ehemann wurde am 15. August 1889 geboren.
So eine Angabe ist im Hinblick auf die bei uns verwahrten Personenstandsregister Gold wert. Daher war der erste Schritt der Recherche schnell getan – am 15. August des Jahres 1889 wurden in Remscheid drei Mädchen und drei Jungen geboren, es musste sich demnach um einen der drei Jungen gehandelt haben. Bloß um welchen? Hier waren die übrigen Fotos im Album hilfreich, denn sämtliche Familienfotos zeigten eine überaus idyllische Remscheider Hofschaft; zwei der Kinder waren aber in der Innenstadt geboren. Blieb also nur noch Gustav Rudolf, der Sohn des zu Volkeshaus wohnenden Kleinschmieds Peter Carl Mesenhöller und seiner Frau Hulda Ehlis.
Der Rest ist schnell erzählt: Rudolf Mesenhöller war von Beruf Sägenschmied. Relativ spät, im Alter von 30 Jahren, heiratete er am 6. März 1920 in Remscheid die aus Mittelhofen im Westerwald stammende Margarete Müller. Das Paar hatte einen Sohn. Rudolf Mesenhöller arbeitete lange Jahre als Sägenschmied in der Werkzeugfabrik Ernst-August-Werk KG (Schweflinghaus & Beitzer) in der Büchelstraße, bis er zu einem unbekannten Zeitpunkt an Krebs erkrankte und am 6. Juli 1942 in Limburg an der Lahn starb. Seine Ehefrau überlebte ihn um mehr als dreißig Jahre, sie starb 1973 in Remscheid.
Ist der Anfang einmal gemacht, erklären sich auch die übrigen Hinweise, die das Fundstück des Monats uns gibt. Da ist zum einen ein Hochzeitsfoto, unter dem das Datum „14.11.1931“ vermerkt ist; da braucht es keine Glaskugel, sondern nur einen Blick ins Heiratsbuch des Jahres 1931 um festzustellen, dass das Foto das Brautpaar Karl Friedrich Kraft und Hedwig Krüger zeigt. Und macht man sich die Mühe, die vorhandenen Einwohnermeldekarteien zu durchforsten, findet man mit wenig Mühe heraus, dass Rudolf Mesenhöllers Schwester Hulda im Frühjahr 1919 den Schumacher Friedrich Kraft geheiratet hat- der abgebildete junge Mann war folglich deren gemeinsamer Sohn, also Rudolf Mesenhöllers Neffe und seine Braut. Das Paar führte gewiss eine glückliche Ehe, die mit drei gemeinsamen Kindern gekrönt wurde.
Viele, viele Familienfotos sind in diesem Album überliefert, die durch das neu gewonnene Wissen zumindest in Teilen bestimmten Personen zugeordnet werden können. Welches der abgebildeten Häuser tatsächlich das Wohnhaus der Familie zeigte, würde sich mit erheblicher Mühe vielleicht auch noch in Erfahrung bringen lassen. Doch wollen wir es an dieser Stelle gut sein lassen. Stattdessen noch ein paar Worte zur Hofschaft Volkeshaus:
Der frühere Stadtarchivar Dr. Walter Lorenz berichtet in einem Aufsatz über das Werden und die Entwicklung der Hofschaft Fürberg, diese sei in einer Urkunde vom 1. Mai 1369 erstmals erwähnt worden; in einer Steuerliste des Amtes Bornefeld aus dem 16. Jahrhundert sei als einer von fünf Steuerpflichtigen aus Fürberg „Folcke, ein gar geringer Köhler“ aufgeführt. Dieser Folcke, so Lorenz, dürfte wohl der Erbauer oder zumindest der Bewohner des später Volkeshaus genannten Wohnplatzes gewesen sein. Volkeshaus gehörte demnach ursprünglich zu Fürberg.
Zur Anlage des Hofes Fürberg wurde ein Stück aus dem einstmals den ganzen Holscheidsberg bedeckenden Wald gerodet. Für die Anlage einer Siedlung hatten sich sogenannte Quellmulden als besonders günstig erwiesen; dies waren Kleinräume bei oder unterhalb einer Bachquelle, die einerseits hinreichend Schutz vor den Unbilden der Witterung und andererseits ausreichend Wasser für Mensch und Tiere boten. In der Regel wurde der Bachlauf dort zu einem kleinen Weiher aufgestaut als Vorrat für regenarme Zeiten. Früh siedelte sich dort schon Industrie an, so findet sich 1586 die Erwähnung eines Sensenschmieds namens Theil zu Fürberg. Nach dem Niedergang des Sensenhandwerks in Remscheid folgten die Kleinschmiede; Fürberg wandelte sich spätestens im 18. Jahrhundert von der rein oder vorwiegend bäuerlichen Siedlung zu einem Gewerbestandort - eine Entwicklung, die sich im 19. Jahrhundert fortsetzen sollte. Für die Bevölkerungsentwicklung in Volkeshaus lässt sich Vergleichbares nicht sagen: zwischen 1831 (9 Häuser) und 2000 (14 Häuser) hat sich die Zahl der Wohnhäuser am Volkeshaus noch nicht einmal verdoppelt. So konnte die hübsche Hofschaft ihren ursprünglichen Charme bis in die heutige Zeit bewahren, den Walter Lorenz im genannten Aufsatz als „Eindruck idyllischer Abgeschiedenheit“ bezeichnete.
Verfasst von: Viola Meike